Ich hab’ wirklich geglaubt, ich komme nur kurz ins Tierheim, um mir „mal ein paar Hunde anzuschauen“. Stattdessen stand ich nach zehn Minuten da und hatte Angst, dass der große Rottweiler neben mir der erste Hund in meinem Leben sein würde, der mich nicht aussucht.
Dabei saß er da – dieser massige Kerl mit schwarzem Fell und den warmen, braunen Augen – als wäre die Welt ihm längst egal geworden. Und das Schlimmste war: Er schaute durch mich hindurch, nicht zu mir. Als hätte er längst beschlossen, dass Menschen nicht mehr für ihn gemacht sind.
Der Mitarbeiter flüsterte mir zu, er hätte „aufgegeben“. Kein Bellen mehr, kein Schwanzwedeln, kein Hoffen. Nur warten. Auf nichts.
Ich setzte mich trotzdem. Ein älterer Mann auf einer grauen Bank, die viel zu hart war und deutlich machte, dass niemand hier zum Spaß sitzt. Ich hatte mein helles Hemd an, die kurzen Hosen, die ich eigentlich nur trage, wenn ich so tue, als wäre ich praktischer geworden, und meinen altbewährten Tarnhut, der mich noch nie vor irgendeiner Entscheidung geschützt hat.
Und dann saß da der Rottweiler. Riesig, wachsam, aber innerlich längst verschwunden. Ich machte die einzige Sache, die mir noch blieb: Ich lächelte. Und völlig unlogisch legte ich den Arm um ihn, als würde ich ihn schon kennen. Er schaute nicht zurück. Nur ein winziges, müdes Anlehnen. Gerade genug, um mich zu verlieren.
Ich weiß noch, wie lächerlich es sich anfühlte. Ein Mann, der versucht, eine Mauer aus Misstrauen mit einem halben Lächeln einzureißen. Aber ich blieb sitzen. Vielleicht aus Trotz. Vielleicht, weil ich selbst ein paar Tage kannte, an denen ich aufgegeben hätte, wenn jemand nicht einfach neben mir sitzen geblieben wäre.
Mit der Zeit tat er etwas, das fast unmerklich war – aber ich schwöre, ich hab’s gefühlt. Der schwere Kopf senkte sich einen Zentimeter in meine Richtung. Ein Zentimeter Hoffnung, der sich anfühlte wie ein halber Kilometer.
Sie sagten mir, niemand habe ihn je auf einer Warteliste gehabt. Die meisten hätten Angst gehabt. Rottweiler, groß, dunkel, einschüchternd, und sein Blick so leer, dass man ihn falsch verstehen konnte. Und irgendwo in diesem kalten Warten hatte er anscheinend beschlossen, dass kein Mensch mehr kommt.
Und da saß ich nun. Mit diesem Hund, der sich längst verabschiedet hatte.
Und da war dieser Moment, in dem er plötzlich atmete, als würde er es wieder ernst meinen. Nicht tief. Nicht laut. Nur bewusst.
Also tat ich das Einzige, was sinnvoll schien: Ich stand auf, klopfte mir die Hose ab – warum, weiß ich nicht –, zeigte auf ihn und sagte zum Mitarbeiter: Den da. Pack ihn ein.
Der Mitarbeiter zog nur die Augenbrauen hoch. Ich glaube, er dachte, ich hätte spontan den Verstand verloren. Vielleicht hatte ich das auch. Aber manchmal macht das Herz eben bessere Entscheidungen als der Kopf.
Ein paar Wochen später saßen wir nebeneinander in einem Wartezimmer – diesmal nicht im Tierheim, sondern beim Tierarzt, routinemäßig. Der Rottweiler lehnte sich gegen mich, als hätte er das schon immer getan. Nicht stumm und hoffnungslos, sondern schwer und warm und lebendig. Ich legte den Arm wieder um ihn. Er atmete tief aus. Das war unser Ding geworden.
Man sagt, Tiere retten uns nicht. Aber ich glaube, sie sind manchmal die einzigen, die uns zurückbringen in die Version von uns selbst, die wir Jahre verloren hatten.
Und wenn mich heute jemand fragt, warum ich ausgerechnet ihn gewählt habe, sage ich:
Ich glaube nicht, dass ich ihn gewählt habe.
Ich glaube, ich war einfach der Erste, der lange genug sitzen blieb, bis sein Herz wieder den Mut hatte zu fragen:
Wär’s möglich, dass jemand wie ich noch einmal nach Hause darf?


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