Das Porträt der Erinnerung
Er konnte ihr Gesicht perfekt, genau, lebendig zeichnen. Aber das, was in ihr lebte, konnte er nicht einfangen. Wärme, Nähe, das Atmen der Liebe. Jeder Pinselstrich brachte ihn ihr näher – und zugleich weiter weg.
Manchmal schloss er die Augen und sah sie: im Sommerkleid, im Regen, mit einem Strauß Wiesenblumen. Sie lachte, drehte sich zu ihm – und verschwand, wie ein Schatten, wie ein Spiegelbild im Wasser. Dann legte er den Pinsel ab, setzte sich in den Sessel und starrte lange auf die Leinwand, in der Hoffnung, sie möge wenigstens mit dem Blick zurückkehren.
Als das Porträt schließlich fertig war, herrschte eine fast heilige Stille im Raum. Sie schaute ihn von der Leinwand aus an – so, wie er sich an sie erinnerte: zart, hell, lebendig. Doch es war mehr als ein Bild – fast, als sei ihre Seele selbst in der Farbe festgehalten.
Er trat näher, berührte mit den Fingerspitzen ihr gemaltes Haar und flüsterte:
— Jetzt bist du wieder zu Hause.
Eine Träne fiel auf die Farbe, hinterließ einen winzigen Fleck – ein Abdruck seiner Liebe. Er lächelte durch den Schmerz hindurch. Denn er verstand: Sie war nie wirklich fortgegangen. Sie war Teil dieses Lichts, dieser Stille, dieses Porträts geworden.
Und jetzt, jeden Morgen, wenn ein Sonnenstrahl auf die Leinwand fiel, schien es ihm, als lächelte sie ihm zu.



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